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Essay "Rose von Kairwan"

Daten

TitelRose von Kairwan
AutorRolf Dernen

Zugeordnete Texte

TitelUntertitelKurzbemerkung
Der Pfahlmann 
Die Rose von Kairwan 
Ein DichterEine Erzählung aus den Vereinigten Staaten von Karl Hohenthal
Ein Kaper 
Eine Befreiung 
Robert SurcoufEin Seemannsbild von Ernst von Linden

Die Rose von Kaïrwan

Aus der Werkstatt eines Erfolgsschriftstellers XI

Wie man in den früheren Beiträgen dieser Reihe gesehen hat, war Karl May recht geübt in der Technik, die ich mal salopp als "Textrecycling" bezeichnen möchte. Was hatte der Mann schon alles geschrieben, als er den Höhepunkt seiner Karriere, die eigene Werkausgabe, ansteuerte! So war es für ihn kein unlösbares Problem, neben seinen Verpflichtungen für die Verlage Fehsenfeld und Spemann ca. 1893 einen möglicherweise längst vergessenen Vertrag zu erfüllen.

In einer gewissen Zwickmühle befindet sich May allerdings schon, als der Osnabrücker Verleger Bernhard Wehberg ihn an die 1885 geschlossene Abmachung erinnert, die 1880 im "Deutschen Hausschatz" erschienene Erzählung "Deadly Dust" in Buchform herauszubringen.
Diese Erzählung hat May für den neunten Band seiner Werkausgabe bei Fehsenfeld, als Teil des dritten "Winnetou"-Bandes, vorgesehen. Warum Wehberg nicht bereits 1885 sein Vorhaben ausgeführt hat, ist nicht überliefert.

Das Jahr 1885 war ein besonders unglückliches für May gewesen. Er arbeitete für den Kolportageverlag Müchmeyer wie auch für den seriösen "Hausschatz", seine Produktion litt allerdings durch einen schweren Schicksalsschlag: Am 15. April starb die Mutter des Autors und May war für Wochen unfähig, dringend angemahnte Manuskripte zu liefern.
Der Schlaganfall seines Vaters wenig später dürfte den Autor ebenfalls emotional belastet haben. Ein zusätzliches Honorar wäre also sicherlich nicht unwillkommen gewesen, aber zur Buchausgabe von "Deadly Dust" kam es damals nicht.

Aber nun ist May ein erfolgreicher Autor, und an den Erfolg der "Gesammelten Reiseromane", wie die Fehsenfeld-Reihe zu diesem Zeitpunkt noch heißt, lässt es sich gut anhängen. May ist alles andere als begeistert, zweifelt die Gültigkeit des Vertrages nach so langer Zeit an, verbietet Wehberg die Herausgabe und droht sogar mit Klage.

Schließlich einigt man sich auf einen Kompromiss: May wird ein neues Buch unter dem Titel "Die Rose von Kaïrwan. Erzählung aus drei Erdtheilen" liefern und Wehberg gibt die Rechte von "Deadly Dust" an den Schriftsteller zurück.

So völlig neu ist das, was May dem Osnabrücker Verleger liefern wird, dann allerdings nicht. Zu knapp ist die Zeit, zu sehr ist May mit den "Winnetou"-Bänden beschäftigt. Auch sein gesundheitlicher Zustand ist nicht der beste. "Der Hauptgrund, daß ich nichts fertig brachte", so schreibt er am 17. September 1893 an Fehsenfeld, "ist meine gegen früher hochgradig gesteigerte Nervosität, auf welche meine Frau nicht die mindeste Rücksicht nimmt". Ein Augenleiden kommt hinzu; kurz gesagt: May ist gestresst! Seiner Fähigkeit zum oben erwähnten Textrecycling tut dies allerdings keinen Abbruch, denn der Autor macht sich nun daran, aus älteren Texten ein neues Ganzes zu kompilieren.

Da ist einmal Mays 1882 im "Deutschen Hausschatz" pseudonym erschienene Erzählung "Robert Surcouf. Ein Seemannsbild von Ernst von Linden". Titelheld ist der in seiner Heimat legendäre, in Deutschland relativ unbekannte französische Kaperkapitän (1773 - 1827), der in den Napoleonischen Kriegen eine bedeutende Rolle gespielt hat. Die Erzählung gehört neben dem "Quitzow"-Roman und den Geschichten um den "Alten Dessauer" zu den wenigen historischen Sujets in Mays Werk, wird vom Autor nun in "Ein Kaper" umbenannt und leitet das "Rose"-Projekt als "Erste Abtheilung" ein. May verändert nur wenig am "Hausschatz"-Text.
Die vier Kapitel der Erzählung, die im "Hausschatz" Überschriften führten, beziffert er jetzt nur von I bis IV und streicht die letzten 16 Zeilen, in denen Napoleon im Exil unter anderem bereut, nicht auf Surcouf gehört zu haben.

Die "Zweite Abtheilung" des im Druck 352 Seiten starken Buches springt vom Europa der napoleonischen Zeit in den Wilden Westen Nordamerikas. Sie erhält den Titel "Ein Pfahlmann", und der Leser dürfte schon damals geahnt haben, dass es sich um eine Geschichte aus dem Llano Estacado handelt, wo Reisende durch von Banditen umgesteckte Markierungspfähle in die Falle geführt wurden. Zumindest bei Karl May. Ursprünglich lautete der Titel dieses Teiles "Ein Dichter. Eine Erzählung aus den Vereinigten Staaten von Karl Hohental", und ersterschienen war dieser ebenfalls pseudonyme Text bereits 1879 in der Stuttgarter Zeitschrift "All Deutschland!" bzw. deren Parallelausgabe "Für alle Welt". Auch dieser Text wird beinahe unverändert übernommen.

Mit der dritten Erzählung "Eine Befreiung" stellt May nun eine Verbindung zwischen dem Frankreich der Napoleonischen Kriege, dem Wilden Westen um 1830 und Nordafrika - eben dort spielt die "Dritte Abtheilung" - um 1870 her. May schreibt die Erzählung neu, verwendet allerdings Motive aus "Die Rose von Sokna. Ein Abenteuer aus der Sahara von Karl May", erschienen 1878 in der "Deutschen Gewerbeschau", einer Beilage der Zeitschrift "Für den Feierabend", die im Thüringischen Mülhausen herausgegeben wurde. Ein Nachdruck erschien unter dem Titel "Ein Wüstenraub" 1881 in der Zeitschrift "Die Heimat".) Die Titelheldin, das von Kara Ben Nemsi befreite Mädchen Rahel, entpuppt sich als Enkelin von Robert Surcouf, außerdem führt May mit dem amerikanischen Archäologen Forster den Sohn des Dichters und Helden aus "Ein Pfahlmann" ein.

Im Herbst 1894 erscheint dann "Die Rose von Kaïrwan" als 352-seitiger, hübsch aufgemachter Leinenband. Eine Nachauflage gibt es nicht. Für die "Gesammelten Werke" des Karl-May-Verlages (KMV) werden die drei Erzählungen nach dem Tod des Autors auseinandergerissen. Die Surcouf-Geschichte wandert 1916 unter dem Titel "Der Kaperkapitän" in Band 38 ("Halbblut"), die Wildwesterzählung gelangt in den gleichen Band. "Eine Befreiung" findet 1921 Aufnahme in Band 19 (Kapitän Kaiman), wo sie den Titel "Von Mursuk bis Kaïrwan erhält". Inzwischen sind die drei Erzählungen im 1997 neu konzipierten Band 38 wieder vereint. Ein Kuriosum am Rande: 1917 veröffentlichte der KMV eine französische Übersetzung von "Der Kaperkapitän" unter dem Titel "Le Corsaire", hauptsächlich für Kriegsgefangene aus Surcoufs Heimat bestimmt.

Als Reprint erschien die "Rose" 1974 in der Olms Presse, versehen mit einem hervorragenden Vorwort von Ekkehard Bartsch. Leider ist diese Ausgabe längst vergriffen.
Weiterhin lieferbar allerdings ist der ebenfalls 1974 erschienene Reprint des KMV, der von der Aufmachung her dem Original zum Verwechseln ähnlich ist. Unter dem Titel "Kara Ben Nemsi und die Rose von Kairwan" erschien 1995 eine bearbeitete Ausgabe in Neusatz bei Nymphenburger. Als Neudruck mit modernisierter Rechtschreibung führt auch der Weltbild-Verlag dieses Beispiel für Mays Kunst, aus Altem etwas Neues zu machen.

RolfDernen

Literaturverzeichnis
Ekkehard Bartsch: Vorwort. In: Karl May: Die Rose von Kairwan. Hildesheim, New York, Olms Presse, 1974.
Volker Griese: Karl May. Chronik seines Lebens. Husum, Husum Druck- und Verlagsgesellschaft Verlag, 2001.
Walter Hansen: Vorwort. In: Karl May: Kara Ben Nemsi und die Rose von Kairwan. Herausgegeben, bearbeitet und kommentiert von S.C. Augustin und Walter Hansen. München, Nymphenburger, 1995.Hildesheim, New York
Heinrich Pleticha, Siegfried Augustin: Vorwort. In : Karl May. Die Rose von Kairwan. Augsburg, Weltbild (2003).

Dieser Beitrag stammt mit freundlicher Genehmigung des Autoren und der Redaktion aus "Karl May & Co.", dem Karl-May-Magazin.