Eintrag von Rüdiger (vom 18.12.2005) (weitere Einträge von Rüdiger)
Die im Orient spielenden Altersnovellen Karl Mays sind recht trocken geraten und haben längst nicht mehr die Frische und Lebendigkeit früherer Erzählungen. Sie mögen tiefsinniger sein, irgendwie fehlt ihnen etwas, Saft und Kraft. Angesichts seiner Vita aber auch kein Wunder.
Eines ist mir aber angenehm aufgefallen in dieser Erzählung: einmal mehr widmet sich der Autor dem Thema Weihnachten auf seine ganz eigene Art. Fand in „Weihnacht“ die gleichnamige Feier, um kitschig-verlogener, vermeintlicher Fest-Idylle in der Heimat doch besser aus dem Wege zu gehen, vorsichtshalber gleich quasi im Exil statt, in Eis und Schnee bei fernen, nichtsdestoweniger vergleichbar angenehme Gesellschaft abgebenden Schoschonen, so geht es hier gar zu Aussätzigen, und wieder ist sehr nachvollziehbar, dass mit ihnen zu feiern angenehmer dünken mag als mit Neureichs, Gutbürgers und Biedermanns an der Elbe. Und überhaupt: „Zuletzt ritt ich allein. Ich wollte mir diese Stunde nicht durch die Rücksicht auf andere aus dem Herzen stehlen lassen.“
Und er lässt nichts aus: von weggefressenen Gliedmaßen ist die Rede, von Speichel, Eiter, infizierten Lumpen und Gestank. Aber es kommt richtige Weihnachtsstimmung auf. Das ist möglich, bei den Schoschonen und den Aussätzigen. Denn da geht es Weihnachten noch um Liebe und Erlösung, um Heilserfahrung, nicht um Behaglichkeit und Völlerei.
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