Eintrag von Rüdiger (vom 3.3.2008) (weitere Einträge von Rüdiger)
Diese Sammlung enthält fünf frühe Erzählungen von Karl May, in denen sich (in jeder von ihnen) zeigt, daß er weit mehr als ein reiner Unterhaltungsschriftsteller war, wenn man ihn denn richtig zu lesen versteht.
Aber eben das ist wohl das Problem (obwohl es ein solches ja eigentlich gar nicht ist ...). In der im Band enthaltenen Geschichte "Auf den Nußbäumen" heißt es an einer Stelle, eine bestimmte Frau liebe Schiller, ohne ihn "auch nur im geringsten zu verstehen“ (in der Bearbeitung in Band 47 fehlt diese zusätzliche Bemerkung, da steht nur, daß sie Schiller liebt; die Art der Streichungen wirft gelegentlich ein gewisses Licht auf die Bearbeiter).
Und so wie Schiller geht es halt auch Karl May ... es wird viel über ihn geredet und geschrieben und allerhand Allotria, Brimborium und Schnulli Trallala getrieben, aber wirklich verstanden haben ihn vielleicht eine Handvoll Leut' wie Robert Müller, Ilmer, Wohlgschaft oder Wollschläger ...
Dieser Tage las ich, daß jemand frank und frei äußerte, er kenne sich mit May-Rezeption (bzw. dem, was er dafür hält) besser aus als mit May. Einen bezeichnenderen Satz (für eine allgemeine Entwicklung, über den Einzelfall hinaus !) habe ich selten gelesen.
In Deutschland hatten wir früher mal einen Literaten als Bundespräsidenten, so ändern sich die Zeiten, „In Rom wird ein Konzern zum Papst ernannt“ sang Hanns Dieter Hüsch, und Karl May gibt es vielleicht eines Tages auch nur noch in Form von Freilichtspielen für die ganze Familie (mit Popcorn, Cola und Werbespots), Sequels und Comics. Trashig aufbereitete Hörspiele nicht zu vergessen, für den Walkman. Ach nein, mittlerweile heißt es ja Maschinenpistoledrei oder so ähnlich.
Solches steht auch schon bei Schiller, z.B. in „Wilhelm Tell" (dem in der Schweiz spielenden Stück, wo sie alle immer ehrfürchtig auf einen mit Hut gucken müssen, und, wenn der nicht da ist, den Hut grüßen, auch keine schlechte Idee übrigens, aber das nur am Rande).
Das Wort hat der Abgeordnete Attinghausen:
Der fremde Zauber reißt die Jugend fort,
Gewaltsam strebend über unsre Berge.
– O unglücksel'ge Stunde, da das Fremde
In diese still beglückten Täler kam,
Der Sitten fromme Unschuld zu zerstören!
Das Neue dringt herein mit Macht, das Alte,
Das Würd'ge scheidet, andre Zeiten kommen,
Es lebt ein anders denkendes Geschlecht!
Was tu' ich hier, sie sind begraben alle,
Mit denen ich gewaltet und gelebt.
Unter der Erde schon liegt meine Zeit;
Wohl dem, der mit der neuen nicht mehr braucht zu leben!
(Geht ab.)
(Vorher sagt er übrigens auch schon ein paar interessante Dinge, über Landwirtschaft nach EU-Normen und die Verteidigung der Freiheit am Hindukusch (nein, kein Witz, könn'semalnachlesen); es lohnt sich tatsächlich, Klassiker zu lesen, aber ich komm’ vom Thema ab)
Und so müssen wir damit leben, daß sich gelegentlich kleine Perlen des Erzählens in stillen Ecken wie dem Deutschen Familienblatt gleichsam verstecken. Vielleicht ist es besser so.
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