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Band-Rezensionen

Band: Fürst und Leiermann

Verlag: Verlag „Edition Stuttgart“
Reihe: KARL MAY'S ILLUSTRIERTE WERKE

Eintrag von Rüdiger (vom 20.2.2008)

Der hübsche Band, lange Zeit vergriffen und auch antiquarisch nur zu saftigen Preisen erhältlich, enthält die neun Dessauer-Geschichten im Originaltext sowie das martialische „Rückblicke eines Veteranen“. Was den Originaltext betrifft, ist einschränkend anzumerken, daß in zwei Fällen zu Verlegenheitslösungen gegriffen werden musste, in „Ein Fürstmarschall als Bäcker“ wurden „fehlende Passagen durch Überleitungstexte ersetzt“, bei „Pandur und Grenadier“ griff man „auf eine Abschrift aus dem Besitz des May-Forschers Dr. Rudolf Beissel“ (beide Zitate: Nachwort) zurück, in beiden Fällen liegt das Original nicht mehr vor.

„May hatte aber“, so Herausgeber Augustin im Nachwort wörtlich, „die Nase voll“; gemeint ist tatsächlich die Abreise aus Gartow nach dem traumatischen Erlebnis dort, nun, nicht nur die Nase, sondern auch, sozusagen, die Seele, versteht das denn keiner. Das Gartow-Erlebnis wird m.E. bei den Kommentatoren allgemein und immer wieder in seiner Schwere und Bedeutung völlig unterschätzt.

„Fortan beschäftigte er sich nicht mehr mit dem alten Dessauer“, der Hinweis ist interessant, so weit ging das Gartow-Trauma also offenbar, daß dies Thema für die Zukunft (ab Gartow) nur noch negativ besetzt war, Ungutes verstörend aufrührend.

Die Dessauer-Geschichten schrieb May in seiner schriftstellerischen Frühzeit, ab 1875. Augustin bemerkt richtig, daß das die Phase war, in der May noch auspobierte, welches Metier ihm lag bzw. „ankam“; anschließend gibt er allerlei Möglichkeiten an, was es wohl gewesen sein mag, daß sich May ausgerechnet den Dessauerfürsten ausgesucht hat als Hauptfigur für immerhin neun Erzählungen. Die Deutungsmöglichkeit, daß der Dessauer eine der verkappten Vaterfiguren Mays ist (auf die u.a. Hermann Wohlgschaft hingewiesen hat) wird später auch erwähnt. Ich halte sie für die plausibelste. Gewalt, Macht, Dominanz, Autorität, Druck, Ängste auslösen auf der einen, neckisch, witzig, „drollig“, liebevoll sein auf der anderen Seite, so sind manchmal Väter, vielleicht auch der von May, und so ist der alte Dessauer. Und, einen Schritt weiter, ein Stück Selbstspiegelung ist sicher auch wieder dabei (in dem Fall, wie so oft, nicht gerade leicht erkennbar), grob, hart, ja brutal, grausam sein, das konnte auch Karl May, und auch wiederum herzlich und liebevoll, und „drollig“ wie ein Kind. Die Gegensätze schließen sich bekanntlich nicht aus.


 
Auflage: 1